El Río Pastaza

El Río Pastaza
Become friends with people who aren't your age. Hangout with people whose first language isn't the same as yours. Get to know someone who doesn't come from your social class. This is how you can see the world. This is how you grow. - Unknown

Dienstag, 2. Februar 2016

5. Monat - Rückblick & Zusammenfassung

Ganze 5 Monate lebe ich jetzt schon in einer etwas anderen Welt als ich es von meinen letzten 18 Lebensjahren gewöhnt bin.
Neben wunderschönen Orten, spannenden Bräuchen und teilweise merkwürdigen Sitten habe ich auch viele interessante Leute kennengelernt. Durch die verschiedenen Nationalitäten, die besonders hier in der Amazonía Ecuadors leben, trifft man immer wieder auf völlig andere Leute mit völlig anderen Geschichten.
In diesem Rückblick möchte ich euch die Lebensgeschichten zweier Kichwa-indígenas erzählen.
Neben den Shuar, den Ashuar, den Shiwiar, den Andoa, den Waorani den Zápara und weiteren kleineren Gruppierungen bilden die Kichwa die größte Gruppe der indígenas.
Fast täglich werde ich mit der gleichnamigen Sprache konfrontiert, da es gerade im Instituto einige Kinder gibt, die aus den comunidades der Kichwa stammen.
Vor allem die Wörter guagua (was so viel wie Mädchen bedeutet) und ñaña bzw. ñaño (= Schwester bzw. Bruder) sind tief in den täglichen Sprachgebrauch eingeflochten.
Neben der Wörter sind Teile der Kichwa-Kultur auch bei den zahlreichen Umzügen in Form von Tänzen und traditioneller Kleidung präsent.
Den ersten "richtigen" Kontakt mit der Kichwa-Kultur habe ich gemacht, als Rahel und ich an einem Wochenende den Ausflug in das Hola Vida Reservat gemacht haben. Dort haben wir die comunidad Cotococha besucht.
Dabei habe ich das traditionelle Getränk chicha getrunken, den traditionellen Schmuck aus bemalten Samen und Naturfasern bestaunt, mich auch mal in die traditionelle Kleidung geworfen, die traditionelle Bemalung auf der Haut gehabt und ein wenig in das Leben in der comunidad hineinschauen dürfen.
Es gibt bei den Kichwa einen Anführer, der meistens der Älteste in der comunidad ist.
Die Wohnhäuser sind aus Holz und Pflanzenfasern, die kunstvoll geflochten werden, dienen als Dach.


Besonders letztes Wochenende habe ich aber tiefer in die Kultur der Kichwa eintauchen können. Da Wuanshu und seine Familie Kichwa sind, war es sehr interessant, einen Nacht bei ihnen zu wohnen.
Das Haus in dem sie in Tena wohnen besteht aus Beton und reicht über drei Stockwerke. Betontreppen bei denen es kein Licht gibt, verbinden die Stockwerke miteinander. Im Erdgeschoss befindet sich Wuanshus Reisebüro, wo auch artesanía-Schmuck, der von der Familie hergestellt wird, verkauft wird. Im ersten Stock befinden sich mehrere Schlafzimmer, ein Kajak lehnt an der Wand und überall liegen Gummistiefel in den Ecken. Auf dem ersten Stock befindet sich auch die Küche, in deren Mitte ein großer Esstisch steht. Im zweiten Stock befinden sich weitere Zimmer, auf einer Seite gibt es keine Seitenwände, eine Waschmaschine steht in der Mitte unter ein paar Wäscheleinen und eine Hängematte schaukelt im Wind. Auf diesem Stockwerk haben auch Rahel und ich übernachtet.
Das Zimmer, in dem wir geschlafen haben, besteht aus Betonwänden, die von einem Wellblechdach, das mit Holzbalken gestützt wird, überdacht wird. Dort, wo normalerweise die Wand auf das Dach trifft, bleibt ein Spalt. Wenn man sich aber die Fensterlöcher, die lediglich durch ein Tuch abgedeckt sind, anschaut, dann stört auch diese Lücke nicht mehr.


In dem großen Raum stehen drei hübsch gemachte Betten und ein Holztisch. Sonst nichts. Vereinzelt hängt eine Steckdose oder ein Lichtschalter aus der Wand.
Hinter einer weiteren Betonwand, in der sich eine Holztür befindet, finden wir das Bad. Toilette, Mülleimer, ein schiefes Waschbecken und ein Duschkopf, der aus der Betonwand ragt. Ansonsten ist auch hier nichts zu finden.
Natürlich könnte man sich einen Duschvorhang oder Glas in den Fenstern wünschen aber irgendwie würde mir das hier Fehl am Platz vorkommen.

Allgemein fehlt es eigentlich an nichts. Es ist sehr simpel aber sehr effizient. Was auffällt: überall sind Menschen und speziell Kinder :D.
Während dem Wochenende erfahre ich viel über Wuanshu und seine Familie. Somit komme ich jetzt endlich zu den Geschichten. Wuanshu wurde als Zweitjüngster von insgesamt 10 Kindern geboren. Manche seiner Geschwister leben heute noch in den comunidades, andere wohnen in Städten. 
Er wächst in der comunidad in der selva auf. Da er von seinen Eltern und seinen älteren Geschwistern geschlagen wird, lebt er mit 9 Jahren als Straßenkind in Tena.
"Freunde", die er auf der Straße kennenlernt, versprechen ihm eine bessere Zukunft. Er wird zum guerrillero und kämpft im ecuadorianischen Dschungel an der Grenze zu Kolumbien. Er gewinnt das Vertrauen eines Anführers, für den er etwas in der Stadt besorgen soll. Von dort kommt er nicht mehr zurück. Wuanshu kommt bei einem chilenischen Freund in Quito unter, wo er ein Jahr nicht das Haus verlässt, da er in ganz Ecuador gesucht wird.
Es folgen Drogen- und Alkoholprobleme und Suizidgedanken. Durch einen Aufenthalt in einer Entzugsklinik kommt er wieder auf den richtigen Weg. Drei Jahre lang macht er eine Ausbildung beim ecuadorianischen Militär, bricht diese dann aber (gegen den Rat seiner Eltern und seiner Freunde) vor dem Abschluss ab. Wuanshu findet Halt und Lösungen in der Natur, die er für sich entdeckt. Heute hat er ein eigenes Reisebüro in Tena, eine Surfschule in Montañita und hat auch internationalen Erfolg (demnächst fliegt er für 3 Monate nach Deutschland, um dort ein Interview bei der Sendung Galileo zu geben). Außerdem hat er zahlreiche Projekte, mit denen er seine comunidad unterstützt. Beispielsweise kooperiert er mit einer deutschen Organisation, die Paten für die jungen indígenas sucht. Die Pakete, die für die Kinder ankommen, verteilt er dann und schickt die Fotos der glücklichen Kinder zurück nach Deutschland. Als wir bei ihm im Reisebüro stehen, zeigt er uns einen Karton, der wie ich erkennen kann, aus Bayern für einen seiner Neffen ankam.
Sein Traum ist es, eines Tages ein Haus für Kinder zu eröffnen, die auf der Straße leben, für Kinder, die eine Behinderung haben und für Kinder, die von ihren Eltern verlassen wurden. Seine "Casa hogar" ist (mit deutscher Unterstützung) sogar schon in der Planung. Was neben seiner Hilfsbereitschaft zu einem seiner größten Hobbies zählt ist das Reisen. Am liebsten möchte er die ganze Welt kennenlernen.
Nach allem, was ich jetzt über ihn weiß, finde ich es mehr als nur bewundernswert, wie glücklich er heute ist. Wie ich es schon einmal erwähnt habe, habe ich in meinem Leben noch nie jemanden getroffen, der so mit sich im Reinen, ausgeglichen, glücklich und mild ist. Ich kann jetzt besser verstehen, wenn er sagt, dass die Natur für ihn die beste Medizin sei. Beim Essen wirft er immer ein Stück oder einen Bissen in die Natur, "für die Pachamama".



Also falls jemand von euch mal zufällig nach Ecuador kommt, kann ich euch nur ans Herz legen: lernt Wuanshu kennen, es ist eine inspirierende Erfahrung wert!
Die zweite Geschichte, die ich erfahren habe, ist nur sehr kurz, gibt aber doch Einblicke in das moderne Leben eines Kichwa und wie dieses dennoch mit alten Traditionen verknüpft ist.
Als ich am Sonntagmorgen Pfannkuchen mache, gesellt sich eine junge Frau zu mir, Hilda. Ohne großen Smalltalk fängt sie mit mir ein Gespräch an. Sie ist 22 Jahre alt, hat gerade das colegio beendet, dann geheiratet und ist Mutter eines dreijährigen Jungen. Auf meine Frage, was sie jetzt nach der Schule macht, antwortet sie: "ich arbeite auf der chacra (= ein kleines Grundstück), koche und kümmere mich um meinen Sohn". Dann wirft Wuanshu ein "und hörst auf deinen Ehemann". An diesem Einwurf erkenne ich die traditionellen Strukturen, die bei den Kichwa wohl vorhanden sind. Besonders wichtig ist es Hilda, mir von der Patentante ihres Sohnes zu erzählen. Sie ist blond - wie ich, weshalb mich ihr Sohn mit ihr verwechselt - und Amerikanerin (aus den USA). Ihr Mann ist Englisch-Professor und wird demnächst nach Ecuador kommen, da er mit seinen Kichwa-Sprachkenntnissen als Übersetzer in den comunidades arbeiten wird. Der nordamerikanische Einfluss führte dazu, dass Hildas Sohn jetzt Sebastián Jackson heißt ;). Auch an diesem Wochenende in der Kichwa-comunidad springen überall kleine Kinder herum.
In diesem Sinne auf das Leben, die Liebe, die Freundschaft und die Natur (wie Wuanshu es vor jedem Essen zu sagen pflegt).
Bis demnächst, eure 
Clara

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