Hoch hinaus in einem Stückchen "Europa".
Baños - ein Ort, den wir schon zig mal passiert, aber noch nie besucht haben.
Auf den Bus wartend werden Rahel und ich von einer Frau angesprochen. Sie fragt, ob wir gerne lesen. Als wir dies bejahen drückt sie uns eine Broschüre in die Hand - die Bibel in Kurzform - und erklärt, wie wichtig es ist. die Bibel zu verstehen. Es kommt mir irgendwie komisch vor und als sich eine zweite Frau einschaltet und mir eine Visitenkarte in die Hand drückt, wird mir klar, warum. "Los testigos de Jehova" - die Zeugen Jehovas sind auch in Ecuador unterwegs.
Eine der beiden Frauen ist Amerikanerin, lebt aber seit 22 Jahren in Ecuador. Sie redet mit mir auf Englisch und obwohl ich schnell umschalten kann, kämpfe ich damit, nicht die spanischen Worte auszusprechen, die mir in den Kopf schießen. Soll heute nicht das letzte Mal bleiben.
Die Fahrt nach Baños kennen wir schon gut genug :D, Da Puyo im oriente liegt, passiert man zwangsläufig Baños, wenn man in die sierra bzw. costa fahren möchte.
In Baños wollen wir wandern gehen. Da die Stadt in einem Kessel liegt, gibt es dabei nur ein Problem: egal, wohin man läuft, es geht fast immer steil bergauf.
Das merken Rahel und ich schnell, als wir unser erstes Ziel, das Bellavista-Kreuz ansteuern. Obwohl es konsequent bergauf geht, schaffen wir es sogar vor der in meinem Reiseführer angegebenen Zeit nach oben. Uns überholt zwei Mal ein junger Mann, der zuerst mit seinen Hunden in einem Wahnsinnstempo bergauf stiefelt, dann umdreht und erneut mit einem Freund aufsteigt. Er scheint das wohl nicht zum ersten Mal zu machen!
Ein anderer Mann macht uns Mut, als er uns kurz vor dem Ziel grinsend "You're almost there" entgegen ruft. Ein weiterer Mann hält uns kurz auf (über die kleine Pause bin ich übrigens nicht undankbar), führt ein wenig Smalltalk und empfiehlt uns anschließend zur "Casa del árbol" zu laufen, laut ihm nur 20 Minuten entfernt. Wie sich später herausstellt, sind ecuadorianische 20 Minuten gemeint!
Nach einer starken halben Stunde kommen Rahel und ich oben an und die Aussicht lohnt sich wirklich!
Wir beschließen, dem Tipp des Mannes zu folgen und streben die "Casa del árbol" an. Zunächst geht es steil einen Trampelpfad bergauf, bis wir zu einem Café und einem (meiner Meinung nach) Luxushotel kommen. Ab da geht es weiter den Berg hinauf. Wir begegnen einem Spanier, der meint es wären noch 4-5 Kilometer. einem Ecuadorianer, der meint es wären noch 3, einem Mädchen, das ihren Hund spazieren führt und einem anderen Mädchen, das uns Brombeeren schenkt. Was alle gemeinsam haben: die Aussage "no es lejos" (= ist nicht weit).
Wir gelangen nach Runtún, einem kleinen Andendörfchen, das ich mehr als eine Ansammlung mehrerer Bauernhöfe beschreiben würde ;).
Eine Frau schickt uns wieder ein Stück des Weges, den wir gekommen sind, zurück und es geht wieder einen Trampelpfad hoch. Wir gelangen an besagtes Restaurant und gönnen uns erstmal eine Stärkung. Es ist hübsch dort und ich genieße es, dass meine Beine für eine Weile lang nicht brennen.
Die Bedienung fragen wir erneut nach dem Weg zur "Casa del árbol" und sie meint, es seien nur noch 20 Minuten.
Mit diesem Gedanken machen wir uns auf den Weg, bis wir in einer Sackgasse stehen. Glücklicherweise sind wir nicht die Einzigen: drei junge Männer sind ebenfalls auf der Suche und wurden den selben Weg entlang geschickt. Wir gehen einen sehr schmalen Pfad entlang und mein Gefühl, dass das der falsche Weg ist, bestätigt sich, als wir auf einmal mitten im Nirgendwo auf einer Kuhweide stehen :D.
Um ehrlich zu sein, hätte ich an dieser Stelle aufgegeben (wir waren seit wir das Zentrum Baños' verlassen haben zu dieser Zeit schon 3,5 Stunden unterwegs - ausnahmslos bergauf wandernd). Einer der drei jungen Männer ist aber so entschlossen, die "Casa del árbol" zu finden, dass ich meinen Frust herunterschlucke und weiterstapfe. Die Kuhweide hinab, hinauf auf den nächsten Hügel. Endlich stehen wir auf der Straße, die Rahel und mir von dem Spanier beschrieben wurde. Wenige Meter später sind wir endlich da! Das Gelände der "Casa del árbol" erinnert an einen großen Spielplatz: eine große Wiese mit Seilbahn, Schaukeln und natürlich die "Casa del árbol" (= Baumhaus) selbst.
Nach vier Stunden Bergwandern bin ich heilfroh, endlich am Ziel angekommen zu sein. Mal wieder habe ich bemerkt, dass auf viele Auskünfte und Wegbeschreibungen kein großer Verlass ist :D.
Ausgeruht machen Rahel und ich uns auf den Rückweg, entscheiden dann aber doch, zu trampen. Eine Kleinfamilie bestehend aus einer Mutter und zwei Töchtern in unserem Alter nimmt uns mit. Es entsteht ein sehr nettes Gespräch, in dem wir erfahren, dass sie aus Quito sind. Heute Abend noch geht es weiter nach Puyo und dann wieder zurück nach Hause. Sie sind sehr interessiert und fragen uns auch über unser Leben aus. Als wir erzählen, dass wir gerade in Puyo wohnen entsteht die Idee, sich morgen zu treffen - mal sehen, was daraus wird :). Ich werde aufgefordert, zu erzählen "wie Deutschland so ist" und merke, dass mir die Antwort schwer fällt. Wie ist Deutschland eigentlich? Bis jetzt habe ich keine zufriedenstellende Antwort gefunden. Ich kann nur eines mit Sicherheit sagen: hier in Ecuador fühle ich mich irgendwie freier, das Leben ist einfacher (in zweifacher Bedeutung). Zurück im Stadtzentrum bedanken wir uns bei der netten Familie und tauschen Kontaktdaten aus.
Bei einem Rundgang durch das Zentrum fällt mir auf, wie vertraut hier alles wirkt.
Woran das liegt, ist nicht schwer zu erraten. Als eine Stadt, die vom Tourismus lebt, bietet Baños eine europäisch anmutende Atmosphäre. Überall findet man hübsche Cafés und Restaurants (in anderen Teilen Ecuadors oft nur schwer zu finden), kleine Läden, in denen man fast alles kaufen kann und eine sehr internationale Küche. Wir finden deutsches Brot, von dem wir in unserem Glück gleich zwei Laibe kaufen und essen in einem schweizerischen Restaurant Rösti mit echtem schweizer Käse zu Abend während auf der CD im Hintergrund ein Jodler ertönt.
Alles in allem stelle ich fest, dass Baños ein guter Ort ist, wenn man mal wieder ein bisschen "Europa" braucht. Die Touristenbüros, Reiseagenturen und die vielen internationalen Gäste kann man der Stadt kaum verübeln.
Den (fast) perfekten Tag lassen Rahel und ich unter freiem, klaren Sternenhimmel mit Wasserfallrauschen im Ohr in den warmen Thermalbädern ausklingen.
In einem Becken ist das Wasser nur etwa 40 - 50cm tief, weshalb alle Leute wie Ölsardinen Seite an Seite im Wasser liegen. Es kommt zu einer lustigen Situation als das Wasser abgelassen wird. Im Chor wird das "agua" (= Wasser) zurück gefordert aber trotz großem Protest muss die Büchse verlassen werden.
Mich spricht ein junger Mann auf Englisch an und ich komme erneut in die Verlegenheit, dass ich ihm beinahe auf Spanisch antworte. Später treffe ich ihn zufällig wieder und erfahre, dass er aus London kommt. Er fragt, ob ich Amerikanerin sei, weil "mein Englisch sehr gut ist". Da muss ich grinsen, denn bei dem einen Satz, den wir zuvor gewechselt haben, wäre mir mehr als ein Mal beinahe ein spanisches statt ein englisches Wort herausgerutscht. Sascha - so heißt der Mann, der zur Hälfte Iraker ist. kann es nicht glauben, als ich ihm sage, dass ich heute das erste Mal "so richtig" in Baños bin. Er reise gerade mit seinem Cousin und dessen Freundin durch Ecuador - sei in Guayaquil gestartet und suche nun einen Ort, wo er eine Weile wohnen könne bis es in einem knappen Jahr zurück nach London in das "langweilige" Leben gehe.
Auch auf dem Weg nach Hause sparen wir uns einen Teil der Fahrtkosten, indem wir ein Stück mit zwei Autolackierern trampen. Ich kann heraushören, dass sie sich das Leben in Deutschland paradiesisch vorstellen. Trotzdem sagen sie, dass sie hier glücklich seien.
Als wir zuhause ankommen ist es 23 Uhr, mir kommt es allerdings vor, als sei es schon ewig her, dass wir an der Bushaltestelle auf die zwei "Zeugen Jehovas" - Anhängerinnen getroffen sind. Erst als ich die etwas mitgenommene, inzwischen nasse Broschüre aus der Tasche ziehe, fällt mir wieder ein, dass das ja heute Morgen war.
So viel ist wieder passiert, so viele interessante Gespräche wurden geführt und so viele nette Menschen habe ich getroffen.
Inzwischen ist es schon echt spät und von der Wanderung bin ich ziemlich müde, weshalb ich jetzt schlafen gehe.
Euch allen noch einen schönen Sonntag! :) Bis bald, eure
Clara
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