El Río Pastaza

El Río Pastaza
Become friends with people who aren't your age. Hangout with people whose first language isn't the same as yours. Get to know someone who doesn't come from your social class. This is how you can see the world. This is how you grow. - Unknown

Sonntag, 15. November 2015

Tag 76 & 77

"Día Weltwärts" (= Weltwärtstag).
Um 3.45 Uhr quäle ich mich am Freitag aus dem Bett.
Bis wir im Seminarort (Cumbayá, das liegt in der Nähe von Quito) ankommen gurken wir ca. 8 Stunden mit verschiedensten Bussen durch die Gegend. Das Problem ist, dass das Bussystem so verwirrend ist, dass man quasi auf die Auskunft der anderen Menschen bzw. der Busfahrer angewiesen ist, deren Aussagen nicht immer übereinstimmen. Mit der Höhe geht diesmal alles gut (keine Schwächeanfälle :D) und die eher trockene Luft in Quito (im Gegensatz zu Puyo, wo eine Luftfeuchtigkeit von 60-80% herrscht) nehme ich als sehr angenehm war.
Endlich angekommen gibt es nach der Begrüßung durch den Veranstaltungsleiter Alex und der Zimmervergabe schon Mittagessen.


Blick aus Rahels und meinem Zimmer

Danach referiert ein Vertreter der Deutschen Botschaft in Quito über seine Arbeit hier in Ecuador.
Nach dem Mittagessen mussten wir uns bei verschiedenen Workshops anmelden, die am Nachmittag stattfinden. Zuerst bin ich in einem Workshop zu Redensarten in Ecuador, dann in einem zu zeitgenössischem Tanz. Bei dem Workshop zu den Redensarten werden viele der Dinge aufgegriffen, die mir auch schon aufgefallen sind und es gibt genug Zeit, weitere Fragen zu klären. Unser Referent, ein kleiner, rundlicher älterer Herr gestaltet den Workshop sehr lustig, sodass ich viel von dem behalte, was wir dort gelernt haben.
Mit unserem profe Ignacio tanzen wir später ein wenig durch das Auditorium. 
Zwischen den beiden Workshops findet draußen ein Markt mit fair gehandelten Produkten statt. Dort haben auch einige Freiwillige ihren Stand, an dem sie die Produkte verkaufen, die sie teilweise in ihren Projekten herstellen. Neben Orangen, Marmelade und gerösteten Erdnüssen findet man auch Shampoo und Seife.
Gegen Abend machen wir ca. 100 (von insgesamt 170) Weltwärtsfreiwilligen in Ecuador uns auf den Weg in das "Colegio Alemán Quito" (= Deutsche Schule Quito). Begleitet werden wir durch die Polizei, deren Anwesenheit Alex später mit den Worten "es wäre einfach scheiße, wenn was passiert... einfach doof wäre das" (noch dazu in breitem Bayrisch) erklärt :D.
In der Schule angekommen werden wir vom Schulleiter begrüßt. Unser Weg führt danach in die Mensa, wo wir ihm Fragen stellen können und später zu Abend essen. Auch entdecken wir dort zwei vertraute Gesichter: Samuel und Rafael.
Bei der Fragerunde kommt heraus, dass für diese Schule 600$ Schulgeld monatlich gezahlt werden muss. Bei einem ecuadorianischen Durchschnittseinkommen von 350$ pro Monat, erklärt es sich von selbst, dass der Besuch der Schule eigentlich ausschließlich der oberen Mittel- und Oberschicht vorbehalten ist. Allerdings erklärt dieses Schulgeld auch die überaus moderne Ausstattung der Schule, von der sich tatsächlich auch deutsche Schulen eine Scheibe abschneiden könnten. Der Lehrplan ist dem Lehrplan in Baden-Württemberg angeglichen und es wird als "Ziel" unter anderem der deutsche Abschluss "allgemeine Hochschulreife" angeboten, mit dem dann natürlich problemlos in Deutschland studiert werden kann. Es ist wohl außerdem so, dass es nur mit Ausnahme genehmigt wird, dass Kinder, die nicht vom Kindergarten an auf der Schule waren, in die Schule kommen. Genau so schwer ist auch ein Ausstieg aus dem Schulprogramm. Vorausgesetzt für die Aufnahme in die Schule werden logischerweise Deutschkenntnisse. Die Schüler sind zu 80% Ecuadorianer und zu 20% Ausländer. Es gibt 2 Züge mit der Hauptsprache Deutsch und 3 mit der Hauptsprache Spanisch. Daneben wird natürlich die jeweils andere Sprache auch unterrichtet, genau so wie Englisch.
Nach dem Abendessen gibt es im Auditorium noch eine Vorstellung. Zuerst präsentiert sich eine Band, die mit uralten (500-2500 Jahre alt) traditionellen ecuadorianischen Instrumenten die Halle mit Tönen erfüllt. Danach tritt eine traditionelle Tanzgruppe aus Puyo (!!!) auf. Diese fordert uns, wie zuvor auch die Band, zum Tanzen auf und bald hüpfen wir alle, unter Anleitung der Tanzgruppe, wild auf der Bühne herum.
Danach ist das Programm zu Ende und ich bin froh, als ich endlich ins Bett komme.

Nach dem Frühstück gibt es heute (am Samstag) zuerst eine Einheit zur Sicherheit in Ecuador und dann eine Einheit zur Gesundheit. Bei der Einheit zur Sicherheit erzählt unter anderem einer der Freiwilligen, was ihm vor ein paar Wochen passiert ist. Er war mittags mit dem Reisebus unterwegs als sich ein adrett gekleideter Herr mittleren Alters neben ihn setzt. Sie unterhalten sich und bald bietet der Herr ihm Kekse und Saft an, was der Freiwillige zuerst noch ablehnt. Später willigt er aber doch ein und die beiden trinken zusammen (!!!) Saft und essen Kekse. Die Flasche, aus der der Freiwillige den Saft getrunken hat sah wohl originalverpackt aus und hatte auch sonst keine Auffälligkeiten. Allerdings kann er sich an die nächsten 1,5 Tage nicht mehr erinnern. Er wurde wohl am selben Tag noch am Straßenrand gefunden. Er stand unter Betäubungsmittel und sein gesamter Reiserucksack war weg. An diesem Beispiel sollten wir sehen, wie schnell so etwas gehen kann. Um jetzt keine einseitige Geschichte zu erzählen, muss ich seine Erfahrung aber noch fertig erzählen. Eine ecuadorianische Familie hat den "identitätslosen" (da sein Pass ebenfalls weg war) Deutschen im Krankenhaus abgeliefert und ihre Handynummer hinterlassen. Sobald der Freiwillige wieder ansprechbar war, wurde die Familie informiert und hat den Freiwilligen bedingungslos bei sich aufgenommen. So wie es eben überall "schlechte" Menschen gibt, gibt es zum Glück auch überall "gute" Menschen.
Auch heute finden wieder Workshops statt. Im ersten Workshop erzählt uns eine Frau, die seit 20 Jahren in Ecuador und seit 7 Jahren im Yasuní-Nationalpark lebt etwas über den Nationalpark und über die Probleme mit dem Erdöl, das dort umstrittenerweise gefördert wird. Sehr interessant ist es, als sie erzählt, dass viele indígenas (= Einheimische) über Jahre darauf warten, dass endlich eine Erdölfirma ankommt, da es oft ihre einzige Möglichkeit ist, irgendwann in ihrem Leben mal an Geld zu kommen. Dafür nehmen sie auch die Zerstörung ihrer Heimat und die damit verbundenen moralischen Konflikte in Kauf.
Später erfahren wir beim "Migrations-Workshop" etwas über die Migration in Ecuador und vor allem über die Kolumbienflüchtlinge. In Kolumbien herrscht nämlich seit 60 Jahren der längste Bürgerkrieg der Welt, weshalb viele Kolumbianer nach Ecuador fliehen. Übrigens ist Ecuador das südamerikanische Land, das am meisten Migranten aufnimmt.
Nach einer Evaluations- und Verabschiedungsrunde und dem Mittagessen machen wir uns wieder auf den Heimweg.
Kurze Anmerkung: ich hatte es schon einmal erwähnt, möchte aber nochmal kurz erklären, was "weltwärts" ist. Das "weltwärts"-Programm ist das Freiwilligendienstprogramm, das vom BMZ (Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung) finanziell unterstützt wird. Auch mein Freiwilligendienst ist einer dieser Weltwärtsfreiwilligendienste und ich bin mehr als dankbar für die Möglichkeiten, die ich dadurch bekommen habe.
Wir haben das Glück, dass Rafael (unser Schulbusfahrer) gestern mit der Tanzgruppe aus Puyo angekommen ist. Somit haben wir heute den Luxus, mit unserem Schulbus und Rafael zurück fahren zu können :). Mit der lachenden, singenden und Essen austeilenden Tanzgruppe fahren wir zurück nach Puyo. Auf dem Weg sehen wir den Tungurahua Vulkan, der gerade Asche spuckt, was wirklich beeindruckend aussieht.



Auf der Fahrt von Baños nach Puyo gelingt es mir endlich mal, einen Schnappschuss der wirklich wunderschönen Strecke zu machen.



In Shell (15 Minuten von Puyo entfernt) vergessen wir aus Versehen einen der Tänzer als wir kurz Pause machen. Das führt bei den Einen zu großem Entsetzen, bei den Anderen zu heftigem Lachen. Da wir das Fehlen des Tänzers erst nach ca. 10 Minuten bemerken, dreht Rafael auch nicht mehr um :D.

Knappe zwei Tage mal wieder fast nur unter Deutschen zu sein hatte für mich positive und negative Seiten. Einerseits war es wirklich äußerst komisch, so viele, ziemlich große, teils blonde Jungs und Mädchen auf einem Haufen zu sehen, andererseits war es aber auch sehr schön. Da wir alle aus ungefähr ähnlichen Verhältnissen stammen und uns "deutsch zu sein" natürlich auch sehr verbindet (nicht nur durch die Sprache) machen wir hier, so wie ich es beim Austausch mit den Anderen mitbekomme, ziemlich ähnliche Erfahrungen. Witzig ist es auch, dass ich mehr als einmal die Frage "hast du schon zugenommen?" höre. Ein Junge antwortet darauf, dass er inzwischen ja schon "fast Brüste bekommen" habe. Auch in Sachen Gewicht geht es uns also ähnlich :D.
Wieder nach Hause, nach Puyo, zu kommen und das "Stückchen Deutschland" wieder zu verlassen hat aber auch etwas sehr Schönes. Zum Einen ist mir Puyo schon so vertraut und ich freue mich jedes Mal, wenn ich wieder "zuhause" bin, zum Anderen ist der Sinn unseres Freiwilligendienstes natürlich auch, sich auf die "fremde" Kultur einzulassen und sich eben nicht nur mit Deutschen zu umgeben.

Obwohl ich 10.000 Kilometer weit weg von Deutschland bin, bekomme ich hier natürlich trotzdem mit, was in Europa passiert. Auch unserem Veranstaltungsleiter war es wichtig, uns sofort über die Geschehnisse in Paris zu informieren. Somit sind wir gedanklich alle trotzdem auch noch in Europa und fühlen mit den Menschen dort mit und ich möchte an dieser Stelle betonen, wie sehr mich diese Ereignisse in Paris getroffen haben.

Les deseo un feliz domingo (= ich wünsche euch einen schönen Sonntag)
Clara

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