Nachdem ich nun endlich dazu gekommen bin, meine Erlebnisse im Yasuní - Nationalpark zu ordnen und aufzuschreiben, erfahrt ihr in diesem Eintrag, was man "hinter" Puyo, im Amazonastiefland Ecuadors, so erleben kann.
Natürlich sind dies meine subjektiven Eindrücke, die auch nur einen Bruchteil von dem wiedergeben, was ich erlebt habe.
Zunächst möchte ich ein paar Begriffe klären, die im Folgenden nun häufiger auftreten werden:
Yasuní - Nationalpark: der Nationalpark im Osten Ecuadors ist einer der artenreichsten Gebiete der Erde. Teilweise leben hier auf einem einzigen Baum mehr Insektenarten als in ganz Europa! Mit einer Fläche von knapp 10.000 km² erstreckt sich der Park über die Provinzen Pastaza und Napo. Weite Teile bleiben dem Tourismus verborgen oder sind Streitobjekt zwischen den ansässigen Waoranis, illegalen Holzfällern und Erdölfirmen.
Kichwa: eine der sieben Nationalitäten Pastazas. Mit etwa 1000.000 Angehörigen bildet sie die Größte der sieben Nationalitäten. Neben der Nationalität und den Angehörigen trägt auch die Sprache der Kichwas den Namen Kichwa.
Comunidad: Gemeinschaft, in der die indígenas (= Indigenen) leben.
Chicha: typisches Getränk, das im Allgemeinen durch die Fermentation verschiedener Pflanzen (hier: vor allem von yucca) durch Speichel gewonnen wird. Bei der chicha de yucca wird die Yuca - Wurzel gekocht, anschließend von den Frauen gekaut und wieder in den Topf gegeben. Dann wird Wasser hinzugefügt und die "Fruchtmasse" mit den Händen ausgewrungen. Lässt man diese Flüssigkeit dann mindestens einen Tag stehen, beginnt die Fermentation.
Die chicha wird oft auch "Joghurt des Oriente" genannt. Diesen Namen erhielt sie wohl durch den leicht sauren aber frischen Geschmack.
Allgemein entspricht die chicha aber nicht unbedingt meinem Geschmack :D.
Mokawa (sprich: "Mokawua"): traditionelle, handgearbeitete Gefäße verschiedener Formen aus denen gegessen aber vor allem auch die chicha getrunken wird. Teilweise sind sie "nur" schwarz, manchmal haben sie aufwändige, handgemalte Muster.
Tag 1: Fehlstart & unsichtbare Gefahren.
Um 4 Uhr stehe ich auf. Gestern erst haben wir uns darum gekümmert, dass uns heute Morgen ein Taxi abholt. Als ich erneut bei der Nummer anrufe, die Ruth mir gegeben hat, weiß man von nichts. Man kennt nicht einmal Ruths Adresse. Ich mache mit dem Taxifahrer also einen alternativen Treffpunkt aus und Rahel und ich beeilen uns, dort hin zu kommen.
Gerade als der Treffpunkt in Sichtweite kommt, sehen wir das einzige Taxi weit und breit weg fahren.
Ohne lange zu zögern, machen wir uns zu Fuß auf den Weg zur Reiseagentur. Da uns die Zeit nicht mehr reicht, den ganzen Weg zu laufen, halten wir ständig die Augen (und Ohren) offen um das nächste Taxi anzuhalten. Einziges Problem: nicht ein einziges Taxi kommt vorbei.
Als ich schon fast die Hoffnung aufgegeben habe, pünktlich zu kommen, taucht doch noch ein Taxi auf und wir kommen auf die Sekunde genau um 5 Uhr bei der Reiseagentur an.
Logischerweise sind wir die Ersten, wir sind ja schließlich in Ecuador ;).
Ich mache ein Beweisfoto, dass wir tatsächlich um 5 Uhr an Ort und Stelle stehen, als ein kleiner aber gut gebauter Mann mittleren Alters unsere Richtung ansteuert.
Pablo wird in den nächsten Tagen unser Reiseführer sein.
Zu dritt warten wir noch auf einen Mitarbeiter der Reiseagentur, der (zumindest beinahe) pünktlich auftaucht. Wir laden eine große Kühlbox, Zelte, Schlafsäcke, Isomatten, Gummistiefel und Schwimmwesten in ein Auto ein, das uns zum Bus bringt. Die ersten 3 - 4 Stunden unserer Reise können wir nämlich noch mit dem Bus zurück legen.
Von der Fahrt bekomme ich wenig mit, da ich die meiste Zeit über Schlaf nachhole. Ich bemerke lediglich, dass vor dem Fenster alles sehr grün und die Straße unter den Reifen immer holpriger wird.
Nach guten 3,5 Stunden kommen wir an einem Haus an, wo Pablo den Bus anhält. Wir befinden uns am Wohnhaus von Pablos Familie. Über einen schmalen Pfad, der direkt auf eine Lichtung führt, erreichen wir ein weiteres Haus. Pablo und seine comunidad, in der wir uns aufhalten, gehört zur Nationalität der Kichwa.
Nachdem wir das Gepäck abgeladen haben, holt Pablo die ersten Schätze aus der Tiefkühltruhe und wir frühstücken Müsli mit Joghurt - mitten in der selva :D.
Wir erfahren, dass unsere Reise erst morgen weitergeht und machen uns deshalb mit Pablo auf den Weg in den umliegenden Wald. Zuvor bekommen wir noch von seiner Frau eine traditionelle Gesichtsbemalung verpasst.
Leider sind meine biologischen Kenntnisse nicht ausreichend, um sagen zu können, was genau diesen Wald jetzt von anderen Wäldern, die wir bisher hier erkundet haben, unterscheidet. Pablo zeigt uns verschiedene Heilpflanzen und wir probieren verschiedene Früchte. Darunter auch Bergkakao, den Pablo mit einer waghalsigen Kletteraktion erntet.
An einer Stelle zeigt uns Pablo einen Scherbenhaufen. Diese Scherben stammen von den Inkas; wir befinden uns mitten in der Küche der Inkas ;).
Den Weg durch das Stückchen Primärwald schlägt uns Pablo mit seiner Machete frei. Rahel und ich folgen ihm. Da Pablo aber kleiner ist als wir, bleiben sämtliche Spinnennetze in meinem Gesicht hängen. A propos Spinnen: neben anderen mehr oder weniger großen Insekten sieht man diese zu genüge.
Verschwitzt (dank der hohen Luftfeuchtigkeit und der großen Hitze) kommen wir wieder an der Lichtung an. Dort hat Pablos Frau unterdessen maito de tilapia zubereitet, was eine willkommene Stärkung darstellt. Salz und Zitrone liegen in schönen, handgeformten "Mokawas" bereit.
Das Grundgerüst des Hauses besteht (ganz traditionell) aus Pfeilern aus dem Holz einer Palme. Das Dach ist mit bestimmten Blättern gedeckt. Seitenwände gibt es nicht. An einer Querseite befindet sich eine Feuerstelle und ein Regal, auf dem sich Bananen stapeln. Ach ja (falls es sich nicht sowieso erschließt): fließend Wasser aus der Leitung und Strom gibt es nicht.
Nach dem Mittagessen machen wir erneut eine kleine Wanderung und wir lernen mehr Heilpflanzen kennen. Der Extrakt eines Baumes, der gegen Durchfall wirkt, schmeckt ein wenig wie Marshmallow :D. Auf dieser zweiten Wanderung zeigt uns Pablo außerdem riesige Bäume. Einer davon ist innen hohl, weshalb man sich quasi "in den Baum stellen" kann.
Das Holz dieser Bäume sei laut Pablo sehr gut für die Herstellung von Möbeln geeignet. Deshalb wurde Pablo schon oft gefragt, ob er sie nicht verkaufen wolle. Dies habe er bis jetzt aber immer verneint.
Als wir zurück kommen machen wir erst einmal Pause in den Hängematten. Ich beobachte, wie gegenüber von mir ein Kleinkind in der Hängematte schaukelt, eine Mutter ihr Kind stillt und zwei Frauen mit einer veralteten Zeitung am Tisch sitzen und lesen üben. Auf der anderen Seite des Flusses, der an der Lichtung vorbei fließt spielen ein paar Jungs Fußball.
Nach einer Weile kommt Pablos Tochter auf mich zu. Delia ist vor Kurzem 17 geworden. Sie hat mit 13 geheiratet und hat einen 3-jährigen Sohn mit dem sie jetzt aber getrennt vom Vater bei ihrer Familie wohnt. Sie studiert im colegio, das ganz in der Nähe der comunidad liegt. Sie erzählt mir, dass sie eigentlich "raus aus der selva" möchte. Noch kenne sie aber nur wenige Städte Ecuadors.
Bevor es dunkel wird, führt uns Delia noch zu einem Wasserfall, wo wir glücklicherweise die Mischung aus Schweiß, Mückenschutzmittel und Sonnencreme von der Haut waschen können.
Direkt neben dem Haus auf der Lichtung wächst eine Pflanze, die viel von Schamanen genutzt wird. Richtig zubereitet ruft sie heftige Halluzinationen hervor. Pablo habe sich bisher zwei Mal ihrer Wirkung ausgesetzt. Er erzählt, er habe mehrere Teufel und eine Boa, die aus seinem Mund kam, gesehen. Was das zu bedeuten habe, weiß er aber auch nicht.
Beim Abendessen erfahren wir ein paar Dinge über die comunidad. Gleichermaßen werden wir über unser Leben hier als auch über unser Leben in Deutschland ausgefragt. Dabei kommt heraus, dass Pablo mich zufällig im Radio gehört habe, als es um die Vorstellung unseres Projekts im Instituto ging :D. Außerdem erfahren wir, dass die comunidad gerne Freiwillige hätte, die ihnen Englisch beibringen.
Wir lernen, dass es hier im Yasuní - Nationalpark immer noch unkontaktierte Gruppen von indígenas gibt, die bis heute gefährlich sein können. Pablo erzählt uns gerade eine Legende über einen Vogel mit einem lustigen Gesang, als eines seiner Kinder uns zu sich holt. Ich traue meinen Augen kaum als ich sehe, wie sich wenige Meter von mir entfernt ein paar Affen von Baum zu Baum schwingen. Das gibt Pablo den Startschuss für eine kleine Nachtwanderung. Wir sehen eine tellergroße, sehr behaarte Spinne, eine sehr dünne Schlange, ein paar Frösche und andere Insekten.
Als ich meinen Blick nach oben gleiten lasse, blicke ich in einen atemberaubenden Sternenhimmel. Noch nie habe ich so viele Sterne an einem so klaren Himmel gesehen. Auch die Milchstraße ist mehr als deutlich zu erkennen.
Bevor wir in unser Zelt kriechen, mache ich noch Notizen für diesen Blogeintrag. Während ich im Kerzenschein die Buchstaben aufs Papier setze, spazieren ein dutzend Ameisen über die Seiten.
Durch die dünne Isomatte spüre ich zwar jede Unebenheit im Boden, trotzdem kann ich schnell einschlafen.
Tag 2: Fußballspiel und duschen im Badezimmer der Reptilien.
Obwohl mein Bett in dieser Nacht echt hart war, konnte ich gut schlafen. Circa eine Stunde nach Sonnenaufgang bin ich auf den Beinen. Durch die Abwesenheit von Lichtschaltern und Glühbirnen verschiebt sich der Tagesrhythmus. Gegen 20 oder 21 Uhr ist Schlafenszeit und um 6 beziehungsweise 7 Uhr steht man wieder auf.
Das nahrhafte Frühstück besteht aus Kochbanane, Zwiebeln und einem Spiegelei und nennt sich majado.
Nachdem alles zusammengepackt ist, laden wir das gesamte Gepäck in ein langes, mit Motor betriebenes Einbaumkanu. Neben Pablo, Rahel und mir sind auch noch 4 von Pablos Kindern (die ebenfalls noch nie "so tief in der selva" waren), ein "motorista" (sinngemäß: Kapitän) und dessen zwei Töchter an Bord. Zu zehnt geht es also flussabwärts. Während wir zunächst noch in einer comunidad mit Busanbindung (auch wenn dieser nur 4 mal am Tag fährt) gewohnt haben, geht es jetzt in ein Gebiet, das sozusagen nur über den Wasserweg zu erreichen ist. Hier heißt dieses Gebiet nur "adentro" (also: "drinnen").
Des Öfteren bleiben wir stecken und Pablos Söhne springen ins Wasser um das Kanu anzuschieben. Wir machen Pipi-Pausen auf einsamen Sandbänken und kommen nur wenigen anderen Booten entgegen.
Papageien fliegen über uns, Wasserschildkröten tanken Sonnenenergie und eine Boa hängt verschlungen auf einem Ast.
Ein kleines Kanu kommt uns entgegen. An Bord: zwei Kinder und ein Affe, der auf dem Rücken des Mädchens hängt. Wir kommen an verschiedenen, teils von den Bäumen versteckten, comunidades vorbei und viele indígenas winken uns zu.
Gegen Mittag kommen wir an dem Haus eines befreundeten Kichwas an.
Ein bisschen wundern wir uns darüber, dass wir Reis mit Bohnen serviert bekommen. Irgendwie nicht sehr authentisch. Später entdecken wir allerdings eine Liste. Die Reiseagentur hat wohl einen Essensplan für uns erstellt. Während diesen 5 Tagen werden immer wieder Blicke auf die Liste geworfen und es fallen Sätze wie "heute bekommen sie einen Apfel", was Rahel und mich zum Schmunzeln bringt :D.
Marcelo (in dessen Haus wir uns befinden) hat eine Schildkröte, die an einem Pflock angebunden ist und mehrere Hunde als Haustiere.
Die typische Begrüßung besteht hier aus dem Brauch, chicha zu sich zu nehmen. Auch ohne Hausherr serviert Judith (eine von Pablos Töchtern) allen das Getränk.
Die Hitze steht, doch Marcelos Haus, das ebenfalls die typische Kichwa - Bauweise aufweist, bietet Schatten. Da auch hier keine Seitenwände vorhanden sind haben allerhand Mücken und Insekten freien Eintritt.
Irgendwann kommt Marcelo mit seinem compañero (= Kamerad) zurück. Es wird sehr viel Kichwa gesprochen, weshalb ich froh bin, wenn plötzlich einzelne Sätze auf Spanisch fallen. Ich höre heraus, dass wir uns gerade sehr nahe am Gebiet der Waorani befinden, die als "unsympathisch", "unzivilisiert" und "gefährlich" beschrieben werden.
Gegen Nachmittag machen wir uns auf den Weg zu einer anderen comunidad. Wir werden wieder mit chicha begrüßt und während eine Unterhaltung auf Kichwa am Laufen ist, beobachte ich den Hausaffen. Judith, die neben mir sitzt fragt, ob ich denn einen Affen mit nach Deutschland mitnehmen könne, wenn mir einer geschenkt werden würde. Grinsend verneine ich dies, auch wenn die Vorstellung zu gut ist.
Etwa eine halbe Stunde später begeben wir uns auf ein Fußballfeld. Aus allen Richtungen tauchen Mitspieler auf und so sind es am Schluss knapp 30 Leute, die hinter dem Ball her sind. Die Mannschaften bestehen aus Personen im Alter von 10 - 60 Jahre. Dünne, Dicke, Frauen und Männer, auf dem Spielfeld ist alles zu sehen.
Hühner und Kleinkinder rennen ebenfalls über das Spielfeld. Ein Jäger kommt aus dem Wald zurück. Auf den Rücken eine Art Wildschwein gebunden.
Sobald die Dunkelheit einbricht wird das Spiel beendet und wir machen uns mit dem Kanu auf dem Rückweg. Vom Fluss aus beobachten wir den Sonnenuntergang.
Der Mond tritt hinter den Wolken sichelförmig hervor. Gerade als wir wieder an Land treten, erhellt eine (ich kann es leider nicht anders ausdrücken) richtig richtig fette Sternschnuppe den Himmel. Wie in Zeitlupe scheint sie vom Himmel zu fallen. Als sie erloschen ist, kommt es mir unwirklich vor.
Bevor es stockdunkel wird, packen wir noch schnell unsere Duschutensilien zusammen und machen uns mit dem Kanu auf die Suche nach einer geeigneten (sauberen) Flussstelle. Mit dem Licht der Taschenlampe fahren wir flussaufwärts.
Plötzlich stoppt unser "motorista" den Motor. Er leuchtet an den Rand des Ufers und gelbe Augen leuchten uns entgegen. Kaimane. Als wir uns vorsichtig nähern, gleiten sie sanft (fast schlangenartig) ins Wasser.
Etwa zwei Meter neben der Abtauchstelle der Kaimane installiert Pablo die "Dusche". Die Holzsitzbänke des Kanus werden ins knietiefe Wasser gestellt und ein Schälchen dient als Duschkopf. Im Bikini und mit einem mulmigen Gefühl (aufgrund der Kaimane und der Dunkelheit) kippen Rahel und ich uns vermeintlich sauberes Wasser über den Kopf.
Es ist stockdunkel als wir bei Marcelos Haus ankommen, weshalb sich alle ans Feuer setzen. Es wird geredet und gelacht. Irgendwie fühlt man sich hier frei. Spontanität spielt eine große Rolle. Verpflichtungen und Sauberkeit eine eher Kleinere. Obwohl die Menschen hier sicherlich auch mit Problemen zu kämpfen haben, kommt mir alles etwas einfacher und weniger streng vor. Man lebt eben einfach in den Tag hinein.
Während die Anderen chicha trinken, sind Rahel und ich mit Kakaopulver aus der Kühlbox (die übrigens nicht gekühlt ist) versorgt.
Nachdem uns Judith noch die Regeln zum Toilettengang erklärt hat ("pipi en la playa, popo en el río") machen Rahel und ich uns auf dem Weg zum Zähneputzen. Dabei springt mir ständig eine große Heuschrecke ans Bein, die mich auch nicht in Ruhe lässt als ich mich bewege. Allgemein "lebt in der Nacht mehr", wie an den Geräuschen unschwer zu erkennen ist. Zum Glück ist die einzige Lichtquelle der Kegel der Taschenlampe. Vielleicht ist es besser nicht von allem zu wissen, was sich um einen befindet :D.
Tag 3: Piranha - Angeln und Selva - Legenden.
Ich wache auf, weil jemand Holz hackt. Wie ich bei Tageslicht sehe, hat es sich ein Teil der Gruppe in Zelten gemütlich gemacht, andere haben auf veralteten Wahlplakaten geschlafen.
Aus der Kühlbox zieht Pablo diesmal Toastbrot und Marmelade. Mit dem labbrigen Brot im Mund beobachte ich die Anderen, die vor ihren mit plátano (= Kochbanane) und Kaimanfleisch gefüllten Mokawas sitzen. Als mir angeboten wird, das Fleisch zu probieren, lehne ich nicht ab. Statt dem von mir gewünschten "bisschen" bekomme ich eine volle Schüssel vorgesetzt.
Das Kaimanfleisch ist stark gesalzen, weshalb ich kaum Eigengeschmack heraus schmecken kann. Am ehesten würde ich es aber mit Fischfleisch vergleichen auch wenn die Konsistenz eher der eines Hühnchens gleicht.
Gestärkt setzen wir mit Pablo, Marcelo, dem "motorista" und Judith auf das andere Ufer über. Dort wandern wir durch den Wald. Wir sehen die Fußspuren eines Tapirs, essen verschiedene Früchte, messen mit Schritten den Umfang eines riesigen Baums (ca. 30m), bekommen mit Hilfe einer Blume einen "Yasuní - Stempel" auf's T-Shirt gedrückt und verjagen eine Fledermaus aus ihrem Versteck.
An einer Lagune hoffen Pablo, Marcelo und der "motorista" auf ihr Glück beim Angeln. Tatsächlich fängt Pablo einen Piranha und der "motorista" nach einigen Versuchen bei dem lediglich der Köder vom Haken gegessen wurde, einen Aal. "Aal" heißt hier witzigerweise "pescado eléctrico". Beinahe hätte Pablo sogar einen Kaiman am Haken gehabt.
Punkt 12 Uhr fängt es an zu regnen. Erdkundeunterricht hautnah :D. Im gefühlten Sprinttempo geht es zurück zum Kanu.
Zum Mittagessen gibt es maito (Anmerkung: maito bezeichnet eine Speise bei der v.a. Fleisch und Fisch in Blättern gegrillt wird) mit dem gefangenen Fisch. Der Piranha hat unglaublich viele Gräten während der Aal eine etwas merkwürdige, zähe Konsistenz hat.
Bei Tageslicht bekomme ich die offizielle Toilette zu sehen, die aus einem Loch im Waldboden besteht, über das ein Brett gelegt wurde.
Unser Nachmittagsprogramm fällt sprichwörtlich ins Wasser, da es nicht aufhört zu regnen. Der Regen lässt die allgemeine Unternehmungslust sinken. Alle scheinen müde zu sein und da die Möglichkeiten beschränkt sind, etwas zu unternehmen, schläft Einer nach dem Anderen langsam ein.
Bevor es dunkel wird nehmen Rahel und ich die heutige Duschaktion selbst in die Hand. Obwohl der schlammbraune Fluss keinen besonders vertrauenserweckenden Eindruck macht, übergießen wir uns mit dem angenehm kühlen Wasser.
Vor dem Schlafengehen werden wir noch von Marcelo verabschiedet. Es fällt ihm offensichtlich schwer, eine lange Ansprache zu halten und so sagt er in den wenigen Sätzen lediglich, dass es schön war, uns kennenzulernen und wir jederzeit wieder willkommen sind. Gastfreundschaft ist hier wohl ein hohes Gut. Wahrscheinlich liegt das auch daran, dass die meisten Menschen ihr Leben lang im Kreise der comunidad wohnen. Gäste sind somit eine willkommene Abwechslung.
In der Männerrunde (was eine große Ehre ist) sitzen Rahel und ich noch am Feuer. Die chicha kreist und es werden Sagen und Legenden erzählt. Marcelo erzählt uns außerdem, dass er hier schon sehr lange lebt und des Öfteren auch schon einmal auf die Waoranis getroffen sei. Allerdings selten im freundschaftlichen Sinne. Eine Gruppe Waorani habe seine Tante und seinen Onkel ermordet.
Ganz nebenbei erfahren wir, dass dieser heutige Samstag Pablos Geburtstag ist. Gratuliert wird nicht. Trotzdem singen Rahel und ich ein deutsches Geburtstagslied.
Tag 4: Chicha de maní und liegen geblieben im Nirgendwo.
Gegen 7.30 Uhr werden unsere Schälchen mit Reis, Kartoffeln, Zwiebeln und Thunfisch gefüllt. Das deftige Frühstück hat seinen Grund: wir werden heute wieder viele Stunden auf dem Fluss verbringen.
Bevor wir uns aber auf den Rückweg machen, geht es nochmals ein Stück flussabwärts. Wir besuchen Marcelos Familie. Von Freitag bis Sonntag versammelt sich die comunidad zum gemeinschaftlichen chicha - Trinken. Wir treffen als eine der ersten Gäste ein. In dem Gemeinschaftsraum sammeln sich auf der einen Seite die Männer, auf der anderen Seite die Frauen + Kinder. Nach und nach füllen sich die Bänke und die Mokawas stapeln sich vor den Füßen. Es wird Flöte gespielt, die Frauen des Hauses servieren chicha und durch den Alkoholgehalt der chicha wird die Runde immer lebhafter. Selbst den Kindern wird chicha serviert.
Das Servieren der chicha ist Frauensache. Ständig verschwinden sie in der Küche und befüllen die Mokawas von Neuem. Bevor die chicha angeboten wird, greifen die Frauen ein paar Mal in die Flüssigkeit, um die festen Bestandteile zu entfernen. Diese werden dann einfach über das Geländer geworfen. Kurz bevor die Mokawa den Mund berührt, säubern die Frauen mit der Hand noch den Rand. Teilweise bekommt man auch mehr als nur eine Mokawa unter die Nase gehalten.
Die chicha von Marcelos Familie ist besonders. Neben yucca besteht sie nämlich außerdem aus "maní" (= Erdnuss). Trotzdem überzeugt mich der Geschmack nicht aber da ich noch nicht mit den Regeln des "chicha - Trinkens" vertraut bin, bin ich mir unsicher, bis wann es als unhöflich gilt, abzulehnen. Irgendwann ringe ich mich endlich dazu durch, abzulehnen, was dazu führt, dass ein Witz gerissen wird (natürlich auf Kichwa). Es scheint aber nicht weiter schlimm zu sein und für den Rest des Aufenthalts entgehe ich dem Getränk.
Stattdessen wird mir auf einmal ein Baby in den Arm gedrückt. Die Kleine ist drei Monate alt und hat riesige Pausbacken. Mit dem Baby auf dem Arm beobachte ich weiterhin die Gemeinschaft. Ich erfahre, dass nicht alle Kichwa sind. Auch andere Nationalitäten sind vertreten, was früher noch undenkbar gewesen wäre. Heute gibt es keine Regel, die verbietet, einen Partner einer anderen Nationalität zu wählen.
Der Gemeinschaftsraum wird immer voller und die Runde immer lustiger. Gegen Ende quetschen sich bestimmt 40-50 Leute nebeneinander auf die Holzbänke.
Mir werden Früchte angeboten, die ein wenig nach Avocado schmecken. Allerdings ist es mir die Arbeit, ans wenige Fruchtfleisch zu gelangen, nicht wert und so beschäftige ich mich lieber weiterhin mit dem Baby.
Gegen 11 Uhr brechen wir auf. Wir setzen Marcelo und seinen compañero ab und treten jetzt wieder nur noch zu zehnt den Rückweg an. Beziehungsweise eigentlich doch zu zwölft, denn wir laden noch zwei Schildkröten ein.
Eine Stunde später fängt es wieder an zu regnen. Es wird sehr ungemütlich und kalt und da ich dank des Regens sowieso fast nichts sehen kann, schließe ich die Augen und schlafe ein.
Als ich wieder aufwache, hat der Regen aufgehört.
Kurz darauf ist das Benzin leer und wir müssen Halt machen um den Treibstoff umzufüllen. Danach springt der Motor nicht mehr an. Wir treiben wieder flussabwärts bis wir irgendwann am Flussufer stoppen können. Mit meiner Besorgnis scheine ich alleine zu sein. Pablo und der "motorista" bauen den Motor auseinander während einer von Pablos Söhnen fröhlich und sicher von der chicha etwas beflügelt "hoy vamos a morir" (= heute werden wir sterben) trällert. Auch die anderen reißen Witze darüber, dass wir jetzt wohl für immer im Urwald stecken bleiben. In meinem Kopf gehe ich sämtliche Lösungen durch aber ohne Mobilfunknetz sind diese deutlich eingeschränkt. Als der Motor auch nach dem Zusammenbauen noch nicht wieder anspringt, stellt sich aber auch bei den Anderen eine etwas ernstere Stimmung ein. Zwei Versuche später brummt der Motor aber wieder und alle atmen auf.
Kurz bevor wir bei der Lichtung ankommen, wo wir schon am ersten Tag übernachtet haben, müssen Pablos Kinder aussteigen und laufen, da das Kanu sonst zu schwer gewesen wäre und im flachen Wasser auf Grund gelaufen wäre.
Während wir für den Hinweg 5 Stunden gebraucht haben, brauchen wir für den Rückweg knappe 7 Stunden. Das Ausladen geht dafür wesentlich schneller als das Einladen.
Noch bevor wir zu Abend essen, genießen Rahel und ich das "duschen" im klaren Fluss.
Nach dem Abendessen machen wir uns mit Pablo auf den Weg zu einer Nachtwanderung. Unter dem Sternenhimmel stapfen wir durch's Unterholz. Wir begegnen vielen XXL Insekten und ein paar Fröschen.
Erschöpft krabbeln wir für die letzte Nacht im Dschungel in unser Zelt.
Tag 5: Mokawas und zurück in Puyo.
Am letzten Tag bringt uns Pablos Frau Isabel bei, wie man Mokawas herstellt. Dazu laufen wir erst zu einer Stelle an der wir das Grundmaterial für die Mokawas aus dem Fels brechen. Eine Art blau-grauer Lehm.
Bevor es zur "Unterrichtsstunde" bei Isabel geht, machen Rahel und ich uns mit Judith und ihrem kleinen Neffen Alex auf den Weg um bei einer Nachbarin ein Huhn zu kaufen.
Nach einer kurzen Hühnerjagd geht es zurück. Judith mit dem Hahn auf dem Arm und ich mit dem 3-jährigen Alex an der Hand. Auf dem Weg kommen wir an einem Stück Wald vorbei, an dem gerade Holzfäller an der Arbeit sind.
Isabel bereitet maito de pollo mit Palmherzen zu.
Zuvor beobachte ich, wie sie dem Hahn das Leben beendet. Nachdem sie seinen Hals bestimmt 2-3 mal verdreht hat, schlägt er ein letztes Mal mit den Flügeln und fällt Isabel dann schlaff in die Hände.
Nach dem Mittagessen geht es an die Herstellung der Mokawas. Ich fühle mich ein bisschen wie in der Grundschule beim Tonen. Bald steht die Grundform der Mokawa. Isabel ist mit meinem Ergebnis zufrieden und möchte, dass wir unsere Namen hineinritzen. Anschließend werden die Mokawas noch mit einer Art Kokusnussschale bearbeitet um das Ergebnis gleichmäßiger erscheinen zu lassen.
Das weitere Verfahren bekommen wir leider nicht mit. Isabel erklärt aber, dass die Mokawas zunächst getrocknet werden. Danach werden sie über dem Feuer "gebrannt". Die schwarze Färbung erhalten die Mokawas durch den Rauch des Feuers.
Da um 15 Uhr der letzte Bus nach Puyo fährt, packen wir gegen 14.30 Uhr alles ein und verlassen die Lichtung. Gerade als wir die Gummistiefel wieder gegen unsere Alltagsschuhe getauscht haben, hupt es. Pablos Söhne rennen zur Straße, um zu sehen, was angefahren kommt. Tatsächlich ist es der Bus.
In größter Eile werden Fässer, Zelte, Kühltruhe und alles andere Gepäck gepackt und zum Bus getragen. Judith begleitet uns mit nach Puyo. Wegen der Eile fällt die Verabschiedung von Pablo und seiner Familie leider sehr kurz aus.
Der Weg zurück nach Puyo dauert knapp 3,5 Stunden. Auf der Hälfte halten wir auf einmal an. Durch Bauarbeiten wurde ein Loch in die Straße gebuddelt und wir können nicht passieren. Ein bisschen lustig finde ich es schon. Der Verkehr ist wohl so gering, dass Bauarbeiten auf der Straße normalerweise nicht weiter stören. Ein Bagger schüttet das Loch schnell wieder zu (die Effizienz der Bauarbeiten bleibt mir schleierhaft) und wir können schließlich doch den Rückweg fortsetzen.
Kurz bevor wir Puyo erreichen, ertönt im Bus auf einmal Michael Jackson :D.
In Puyo laden wir alles wieder aus und helfen Judith, das gesamte Gepäck zu unserer Reiseagentur zu bringen. Dort verabschieden wir uns von ihr und fahren nach Hause.
Als abends alle Sachen in der Wäsche sind und ich frischt geduscht in einen sauberen Schlafanzug schlupfe merke ich, wie schön ich das finde :D.
Die 5 Tage waren es aber trotz der Abwesenheit von Strom und fließendem Wasser aus der Leitung allemal wert!
Wir haben einen großen Teil der wunderschönen (und krabbelnden :D) Amazonía Ecuadors kennengelernt.
Positiv überrascht bin ich von den "wenigen" Mückenstichen, die wir davon getragen haben. "Wenig" steht in Anführungsstrichen, da meine Arme echt übel aussehen. Fast als hätte ich einen Ausschlag.
Trotzdem hätte ich es schlimmer erwartet und wenn man bedenkt, dass sich die Stiche (fast) nur auf meine Arme konzentrieren und der Juckreiz komischerweise kaum vorhanden ist, kann ich damit sehr gut leben.
Neben der unglaublichen Flora und Fauna, die wir zu sehen bekommen haben, hat natürlich auch der kulturelle Aspekt eine große Rolle gespielt.
Da Pablo und seine comunidad erst seit wenigen Monaten mit Reiseagenturen zusammenarbeiten, habe ich mich nicht gefühlt, als hätte ich eine Tour in den Yasuní - Nationalpark gebucht. Es war mehr so, dass ich das Gefühl hatte, ich hätte mit Pablos Familie für eine kurze Zeit eine neue Gastfamilie gefunden.
Nie hatte ich das Gefühl, alles wäre eine einzige Show. Pablo und seine Familie haben uns liebevoll integriert und uns an ihrem Leben teilhaben lassen.
Eine so unverfälschte und extrem andere Lebensrealität hautnah mit zu erleben war eine sehr spannende Erfahrung, die ich wahrscheinlich nie vergessen werde.
Ich hoffe, ihr seid bis hier hin gekommen :D.
Liebste Grüße, eure
Clara
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